Wir alle wissen: Rudern ist das beste Herz-Kreislauf-Training, bei dem außerdem auch Arme, Rücken und Beine trainiert werden. Und was gibt es da besseres, als dieses umfassende Training mit der rauen Küste Schottlands zusammen zu bringen? Seitdem Küstenrudern 2010 in Schottland richtig begonnen hat, konnte es die schottischen Küsten im Sturm erobern und mittlerweile gibt es rund 70 Küstenruderclubs vom Firth of Clyde bis zum Loch Eriboll.
Küstenrudern in Schottland – Ein Paradies und dabei noch so viel mehr
Atemberaubende Landschaften aus einem neuen Blickwinkel und das zusammen mit den Geräuschen und dem Gefühl der Freiheit macht eigentlich die Besonderheit des Küstenruderns aus. Aber nicht nur das, hat Mari Todd, Dozentin für Psychologie an der University of the Highlands and Islands in Inverness, am Küstenrudern fasziniert. Ihr ging es auch um die Auswirkungen auf die Küstendörfer, Rudergemeinschaften und Einzelpersonen.
Für eine Studie suchte sie sich zwei Ruderclubs bei Inverness aus und wurde Teil dieser einzigartigen Gemeinschaften.
“Was einfach deutlich wird, ist die Leidenschaft, nicht nur fürs Rudern, sondern auch für die Gemeinschaft”, so beschreibt Mari die Erlebnisse vor Ort. Als sie beim Club in ihrem Wohnort Avoch anfragte, ob die an ihrer Studie teilnehmen möchten, hieß es von dort: “Sehr gerne, aber nur wenn du es auch selbst versuchst.” Gesagt, getan und schon war sie komplett davon fasziniert.
“Es hat ein Gefühl der Zugehörigkeit geschaffen”, fasst sie ihre ersten Eindrücke zusammen. Zusätzlich zum Rudern fing sie auch direkt an, ehrenamtlich mit Kindern vor Ort zusammenzuarbeiten.
“Das Vertrauen zu Fremden kam schnell. Einfach dadurch, dass man ein Teil einer größeren Gemeinschaft war. Gerade wenn Leute schwere Zeiten durchmachen, hilft die Zusammengehörigkeit beim Rudern, über Dinge zu reden, die einem sonst wahrscheinlich nicht zu schnell über die Lippen gehen würden. Es ist eine unglaublich starke Verbindung, die man da zu seinen Teamkollegen aufbaut. Und es hilft auch, sich generell in die Gemeinschaft vor Ort besser einzugliedern. Jeder der involviert ist, hat die Unterstützung von den Leuten aus dem Club und das ist definitiv hilfreich für die psychische Gesundheit und das generelle Wohlbefinden.”
Es geht nicht nur ums Rudern – sondern auch um die Gemeinschaft
“Was deutlich wurde, ist die besondere Leidenschaft – und zwar nicht nur fürs Rudern, sondern gerade auch für die Gemeinschaft. Je mehr sich Menschen mit ihrer Gemeinschaft und Umgebung identifizieren, desto mehr sind sie bereit darin zu investieren. Und das wiederum hilft allen.”
Die Umfragen und Untersuchungen waren Teil der Masterarbeit von Mari. Dazu wurden rund 70 Mitglieder der Ruderclubs in Avoch und Cromarty entweder persönlich interviewt oder füllten Fragebögen aus.
Kathy Taylor, eine der Gründerinnen des 2014 in Avoch gegründeten Clubs, erzählte in ihrem Interview wie die Vereinsarbeit vor Ort im Detail aussieht. Mitglieder rudern nicht nur, sondern nehmen auch an Aktivitäten wie zum Beispiel am Bau neuer Boote teil. Außerdem gibt es die verschiedensten Aktivitäten auf dem Wasser – vom Freizeitrudern bis zu Regatten mit Teams aus der ganzen Welt. Es ist also für jeden was dabei.
Dabei gilt Küstenrudern auch als Integrationsfaktor. So erzählt Kathy: “Ich lebe seit über 24 Jahren hier und habe mich immer ein bisschen als Außenseiter gefühlt. Seitdem wir den Club gegründet haben, fühlt sich das anders an. Es bringt uns zusammen und bringt außerdem ein bißchen Stolz aufs Dorf ins Dorf. Und das Gute am Küstenrudern ist, dass es einfach jeder tun kann. Man muss nicht wirklich fit sein. Wir können mit dem Boot raus, uns dann im Moray Firth treiben lassen und einfach mal quatschen. Und wenn es dann doch an die Wettkämpfe geht, schneiden wir da auch noch gut ab – wie die nicht gerade wenigen Goldmedaillen zeigen.”
“Sobald man auf dem Wasser ist, vergisst man die Hektik um sich herum”
Weiter nördlich entlang der Küste ist Wanda MacKay Mitglied des Ruderclubs in Cromarty. Und das direkt seit der Gründung 2016.
Sie arbeitet als Jugendpflegerin und berichtet, dass der Ruderclub dabei hilft die Einsamkeit im Dorf zu bekämpfen. Der Club hatte zwischenzeitlich 200 Mitglieder – das ist ein Viertel der Einwohner in Cromarty.
“Für mich persönlich bedeutet das auf-dem-Wasser-sein einfach totale Ruhe und Glück. Man vergisst die Hektik, den Stress des Alltags und auch jegliche Probleme unglaublich schnell. Ich bin einfach glücklich da draußen und für mich geht es eher um die psychische Gesundheit als um die Physische.”
“Jeder der hier anfängt, will am Anfang nicht unbedingt an Wettbewerben teilnehmen, aber das ändert sich schnell. Wobei es für uns Ältere einfach wichtiger ist sich zu sehen und auszutauschen. Es gibt hier Leute, die haben Jobs, Kollegen oder Freunde verloren – die haben einfach zwischendurch die Perspektive aufs Leben verloren. Und jetzt sind sie wieder Teil einer großen, unglaublich schönen Gemeinschaft. Und das Beste daran ist, es sind sogar Leute dabei und Teil der Gemeinschaft, die gar nicht rudern.”
RowAround Scotland 2021
2021 ist ein besonderes Jahr fürs Küstenrudern in Schottland. Nachdem die Schottische Küstenruder Vereinigung 2010 gegründet wurde, sollte zum 10 Jährigen bestehen ein “Rudere um Schottland – RowAround Scotland” Event stattfinden. Dieses wurde aber aus bekannten Gründen auf 2021 verschoben.
Schaut euch hier mehr Informationen und Bilder dazu an (auf Englisch): www.rowaround.scot
Eine neue Verbindung zur Heimat
Aber zurück zu Mari. Sie erzählt, dass eines der überraschendsten Ergebnisse ihrer Studie die neue Verbundenheit mit der Heimat darstellt. Küstenrudern schafft neue Perspektiven auf das kulturelle Erbe der oftmals kleinen Gemeinden entlang der schottischen Küste. Es führt zu mehr Verständnis, erhält Traditionen und hilft gerade Jüngeren einen neuen Blickwinkel auf eigentlich bekannte Orte zu gewinnen.
Gerade Jugendlichen scheint es zu helfen, sich stärker mit ihrer Heimat zu verbinden und auseinanderzusetzen. Mari berichtet, dass “nicht nur die Verbindung und das Gemeinschaftsgefühl untereinander verbessert wird. Sondern auch, dass die Verbindung und das Verständnis zur Natur erheblich verändert wird. Sie verstehen die Gezeiten und das Wetter besser, und schauen einfach viel mehr darauf, was um sie herum passiert. Wenn sie auf dem Boot sind, machen sie oftmals einfach eine Pause, bleiben ruhig sitzen und betrachten die Tierwelt um sie herum.” Es ist einfach eine ganz andere Erfahrung. Viele Menschen berichteten ihr, dass ihnen Küstenrudern nicht nur ein neues Gefühl zur Natur und einen neuen Blickwinkel auf die Umgebung vermittelt hat, sondern auch ihren Blick auf ihre Herkunft und die Geschichte der Gemeinschaften entlang der Küste.
“Gerade für Avoch und Cromarty haben die Rudervereine viel Gutes bewirkt. Auch außerhalb des Bootshauses ist dies sichtbar, so wurde zusammen eine neue Sportanlage gebaut. Und es soll nicht nur beim Küstenrudern im Verein bleiben. Seit kurzem gibt es Überlegungen Boote zu erwerben, die dann von allen gemietet werden können. Es ist einfach ein gutes Gefühl, dass jeder etwas dazu beitragen kann, um etwas Gutes für die Gemeinschaft zu tun”
Zum Original Artikel
Mehr Informationen zum Row Around Scotland 2021: RowAround.Scot